Weder ganz sich, noch ganz den Andern angehören: denn Beides ist eine niederträchtige Thyrannei. Daraus, daß Einer sich ganz für sich allein besitzen will, folgt alsbald, daß er auch alle Dinge für sich haben will. Solche Leute wollen nicht in der geringsten Sache nachgeben, noch das Mindeste von ihrer Bequemlichkeit opfern. Sie sind nicht verbindlich, sondern verlassen sich auf ihre Glücksumstände, welche Stütze jedoch unter ihnen zu brechen pflegt. Man muß bisweilen auch den Andern angehören, damit sie wieder uns angehören. Wer aber ein öffentliches Amt hat, muß der öffentliche Sklave seyn; oder er lege die Würde mit der Bürde nieder, würde die Alte des Hadrian sagen. *) Im Gegentheil giebt es auch Leute, welche ganz den Andern angehören: denn die Thorheit geht stets ins Uebertriebene, hier aber auf eine unglückliche Art. Diese haben keinen Tag und keine Stunde für sich, sondern gehören in solchem Uebermaaß den Andern an, daß Einer schon der Diener Aller genannt wurde. Dies erstreckt sich sogar auf den Verstand, indem sie für Alle wissen und bloß für sich unwissend sind. Der Aufmerksame begreife, daß Keiner ihn sucht, sondern Jeder seinen Vortheil in ihm, oder durch ihn. *) Welche bekanntlich dem Kaiser, als er sie mit "Ich habe keine Zeit" abwies, zurief: "So sei kein Kaiser!"
"Hand-Orakel No. 252"
Keinen allzu deutlichen Vortrag haben. Die Meisten schätzen nicht was sie verstehen; aber was sie nicht fassen können, verehren sie. Um geschätzt zu werden, müssen die Sachen Mühe kosten: daher wird gerühmt, wer nicht verstanden wird. Stets muß man weiser und klüger scheinen, als grade der, mit dem man zu thun hat, es nöthig macht; um ihm eine hohe Meinung einzuflößen: jedoch nicht übertrieben, sondern verhältnismäßig. Und obgleich bei Leuten von Einsicht Sinn und Verstand allemal viel gilt, so ist doch bei den meisten Leuten einiger Aufputz vonnöthen. Zum Tadeln müssen sie gar nicht kommen können, indem sie schon am Verstehen genug zu thun haben. Viele loben Etwas, und frägt man sie; so haben sie keinen Grund anzuführen. Woher dies? Alles Tiefverborgene verehren sie als ein Mysterium, und rühmen es, weil sie es rühmen hören. "Hand-Orakel No. 253"
Ein Uebel nicht geringachten, weil es klein ist: denn nie kommt eines allein: sie sind verkettet, wie auch die Glücksfälle. Glück und Unglück gehen gewöhnlich dahin, wo schon das meiste ist. Dazu kommt, daß Alle den Unglücklichen fliehen und sich dem Glücklichen anschließen: sogar die Tauben, bei aller ihrer Arglosigkeit, laufen nach dem weißesten Geräth. Einen Unglücklichen läßt Alles im Stich, er sich selbst, die Gedanken, der Leitstern. Man wecke nicht das Unglück, wann es schläft. Ein Ausgleiten ist wenig: jedoch kann dieses unglückliche Fallen sich noch fortsetzen und da weiß man nicht, wohin es endlich führen wird. Denn wie kein Gut in jeder Hinsicht vollständig ist; so ist auch kein Uebel je gänzlich vollendet. Für die, so vom Himmel kommen, ist uns die Geduld; für die, so von der Erde, die Klugheit verliehen. "Hand-Orakel No. 254"
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