Gutes zu erzeigen verstehen: wenig auf ein Mal, hingegen oft. Nie muß man dem Andern so große Verbindlichkeiten auflegen, daß es unmöglich wäre, ihnen nachzukommen. Wer sehr Vieles giebt, giebt nicht, sondern verkauft. Auch soll man nicht die vollständigste Erkenntlichkeit verlangen: denn wenn der Andere sieht, daß sie seine Kräfte übersteigt, wird er den Umgang abbrechen. Bei Vielen ist, um sie zu verlieren, nichts weiter nöthig, als sie übermäßig zu verpflichten: um ihre Schuld nicht abzutragen, ziehen sie sich zurück, und werden aus Verpflichteten Feinde. Der Götze möchte nie den Bildhauer, der ihn gemacht hat, vor sich sehen; und ebenso ungern hat der Verpflichtete seinen Wohlthäter vor Augen. Eine große Feinheit beim Geben besteht darin, daß es wenig koste und doch sehr ersehnt sei, wodurch es hoch angeschlagen wird. "Hand-Orakel No. 255"
Allezeit auf seiner Hut seyn gegen Unhöfliche, Eigensinnige, Anmaaßliche und Narren jeder Art. Man stößt auf viele, und die Klugheit besteht darin, nicht mit ihnen aneinander zu gerathen. Vor dem Spiegel seiner Ueberlegung waffne man sich jeden Tag mit Vorsätzen in dieser Hinsicht: so wird man die Gefahren, welche die Narrheit uns in den Weg legt, überwinden. Man denke reiflich darüber nach, und dann wird man sein Ansehen nicht gemeinen Zufälligkeiten bloßstellen. Ein mit Klugheit ausgerüsteter Mann wird von den Ungebührlichen nicht angefochten werden. Unser Weg im Umgang mit Menschen ist deshalb schwierig, weil er voll Klippen ist, an denen unser Ansehen scheitern kann. Das Sicherste ist sich entfernt zu halten, die Schlauheit des Odysseus zum Vorbild nehmend. Von großem Nutzen ist in Dingen dieser Art das erkünstelte Versehen: von der Höflichkeit unterstützt hilft es uns über Alles hinweg, wie es denn ein einziger Richtweg aus allen Verwicklungen ist.
"Hand-Orakel No. 256"
Es nie zum Bruche kommen lassen: denn bei einem solchen kommt unser Ansehen allemal zu Schaden. Jeder ist als Feind von Bedeutung, wenn gleich nicht als Freund. Gutes können Wenige uns erweisen, Schlimmes fast Alle. Im Busen des Jupiters selbst nistet sein Adler nicht sicher, von dem Tage an, wo er mit einem Käfer gebrochen hat. Mit der Klaue des erklärten Feindes schüren die heimlichen das Feuer an, indem sie nur auf die Gelegenheit gelauert hatten. Aus verdorbenen Freunden werden die schlimmsten Feinde. Mit den fremden Fehlern wollen sie, in den Augen der Zuschauer, ihre eigenen überdecken. Jeder redet, wie es ihm scheint, und es scheint ihm, wie er es wünscht. Alle sprechen uns schuldig, entweder weil es uns am Anfang an Vorhersicht, oder am Ende an Geduld, immer aber weil es uns an Klugheit gefehlt habe. - Ist jedoch eine Entfernung nicht zu vermeiden; so sei sie zu entschuldigen, und sei eher eine Lauheit der Freundschaft als ein Ausbruch der Wuth: hier findet nun der bekannte Satz von einem schönen Rückzuge treffende Anwendung.
"Hand-Orakel No. 257"
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