Nach der Gelegenheit leben.Unser Handeln, unser Denken, Alles muß sich nach den Umständen richten. Man wolle wann man kann: denn Zeit und Gelegenheit warten auf Niemanden. Man lebe nicht nach ein für alle Mal gefaßten Vorsätzen, es sei denn zu Gunsten der Tugend; noch schreibe man dem Willen bestimmte Gesetze vor: denn Morgen wird man das Wasser trinken müssen, welches man heute verschmähte. Es giebt so verschrobene Queerköpfe, daß sie verlangen, alle Umstände bei einem Unternehmen sollen sich nach ihren verrückten Grillen fügen und nicht anders. Der Weise hingegen weiß, daß der Leitstern der Klugheit darin besteht, daß man sich nach der Gelegenheit richte. "Hand-Orakel No. 288"
Nichts setzt den Menschen mehr herab, als wenn er sehen läßt, daß er ein Mensch sei. An dem Tage hören sie auf ihn für göttlich zu halten, an welchem sie ihn recht menschlich erblicken. Der Leichtsinn ist das größte Hinderniß unsers Ansehens. Wie der zurückhaltende Mann für mehr als Mensch gehalten wird, so der leichtsinnige für weniger als Mensch. Es giebt keinen Fehler, der mehr herabwürdigte, weil der Leichtsinn das grade Gegentheil des überlegten, gewichtigen Ernstes ist. Ein leichtsinniger Mensch kann nicht von Gehalt seyn, zumal wenn er alt ist, wo die Jahre ihn zur Ueberlegung verpflichten. Und obgleich dieser Makel an so Vielen haftet: so ist er nichts desto weniger ganz besonders herabwürdigend. "Hand-Orakel No. 289"
Es ist viel Glück, zur Hochachtung auch die Liebe zu besitzen. Gemeiniglich darf man, um sich die Achtung zu erhalten, nicht sehr geliebt seyn. Die Liebe ist verwegener als der Haß. Zuneigung und Verehrung lassen sich nicht wohl vereinen. Zwar soll man nicht sehr gefürchtet seyn, aber auch nicht sehr geliebt. Die Liebe führt die Vertraulichkeit ein, und mit jedem Schritt, den diese vorwärts macht, macht die Hochachtung einen zurück. Man sei eher im Besitz einer verehrenden als einer hingebenden Liebe: so ist sie ganzen Leuten angemessen. "Hand-Orakel No. 290"
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