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Sich mäßigen. Man soll einen Fall wohl überlegen, zumal einen Unfall. Die Anwandlungen der Leidenschaft sind das Glatteis der Klugheit, und hier liegt die Gefahr, sich ins Verderben zu stürzen. Von Einem Augenblick der Wuth, oder der Fröhlichkeit wird man weiter geführt, als von vielen Stunden des Gleichmuths; und da bereitet manchmal eine kurze Weile die Beschämung des ganzen Lebens. Fremde Arglist legt oft absichtlich solche Versuchungen der Vernunft an, um eine Entdeckungsreise ins Innere des Geistes zu machen, und benutzt dergleichen Daumschrauben der Geheimnisse, die im Stande sind, den überlegensten Kopf aufs Aeußerste zu treiben. Zur Gegenlist diene die Mäßigung, vorzüglich bei plötzlichen Fällen. Ein sehr überlegter Geist ist erfordert, wenn nicht ein Mal eine Leidenschaft das Gebiß zwischen die Zähne nehmen soll, und gewaltig klug muß der seyn, der es zu Pferde bleibt (siehe Anmerk. zu §.155). Wer die Gefahr begriffen hat, geht mit Behutsamkeit seinen Weg. So leicht ein Wort dem scheint, der es hinwirft, so schwer dem, der es aufnimmt und wiegt.


"Hand-Orakel No. 207"



Sich von allgemeinen Narrheiten frei halten, ist eine recht besondere Klugheit. Jene haben viel Gewalt, weil sie eben allgemein eingeführt sind, und Mancher, welcher sich von keiner Privat-Narrheit überwältigen ließ, konnte doch der allgemeinen nicht entgehen. Es gehören dahin solche gemeine Vorurtheile, wie daß Keiner mit seinem Schicksale, und wäre es das beste, zufrieden, noch unzufrieden mit seinem Verstande ist, wäre er auch der schlechteste; ferner, daß Alle, mit ihrem eigenen Glücke unzufrieden, das fremde beneiden; sodann daß die Leute des heutigen Tages die Dinge von gestern loben, und die von hier die Dinge von dort; alles Vergangene scheint besser, alles Entfernte wird höher geschätzt. Wer über Alles lacht, ist ein eben so großer Narr, als wer sich über Alles betrübt.

"Hand-Orakel No. 209"



Die Kunst des Ausdrucks besitzen: sie besteht nicht nur in der Deutlichkeit, sondern auch in der Lebendigkeit des Vortrags. Einige haben eine glückliche Empfängniß, aber eine schwere Geburt: denn ohne Klarheit können die Kinder des Geistes, die Gedanken und Beschlüsse, nicht wohl zur Welt gebracht werden. Manche gleichen, in ihrer Fassungskraft, jenen Gefäßen, die zwar viel fassen, aber nur wenig von sich geben: Andere wieder sagen sogar mehr, als sie gedacht haben. Was für den Willen die Entschlossenheit, ist für den Verstand die Gabe des Vortrags: zwei hohe Vorzüge. Die Köpfe, welche die Gabe lichtvoller Klarheit haben, erlangen Beifall; die verworrenen werden bisweilen verehrt, weil Keiner sie versteht. Zu Zeiten ist es passend dunkel zu seyn, um nicht gemein zu werden: allein wie sollen die Hörer den begreifen, der mit dem, was er sagt, eigentlich selbst keinen Begriff verknüpft?


"Hand-Orakel No. 216"




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