Ein Gran Kühnheit bei Allem, ist eine wichtige Klugheit.Man muß seine Meinung von Andern mäßigen, um nicht so hoch von ihnen zu denken, daß man sich vor ihnen fürchte. Nie bemächtige sich die Einbildungskraft des Herzens. Viele scheinen gar groß, bis man sie persönlich kennen lernt: dann aber dient ihr Umgang mehr, die Täuschung zu zerstören, als die Werthschätzung zu erhöhen. Keiner überschreitet die engen Gränzen der Menschheit: Alle haben ihr Gebrechen, bald im Kopfe, bald im Herzen. Amt und Würde giebt eine scheinbare Ueberlegenheit, welche selten von der persönlichen begleitet wird: denn das Schicksal pflegt sich an der Höhe des Amtes durch die Geringfügigkeit der Verdienste zu rächen. Die Einbildungskraft ist aber immer im Vorsprung und malt die Sachen viel herrlicher, als sie sind: sie stellt sich nicht bloß vor, was ist, sondern auch, was seyn könnte. Die durch so viele Erfahrungen von Täuschungen zurückgebrachte Vernunft weise jene zurecht. Doch soll so wenig die Dummheit verwegen, als die Tugend furchtsam seyn. Und wenn sogar der Einfalt ihr Selbstvertrauen oft durchhalf; wieviel mehr dem Werthe und dem Wissen.
"Hand-Orakel No. 182"
Sich den fremden Mangel zu Nutze machen: denn erzeugt er den Wunsch; so wird er zur wirksamsten Daumschraube. Die Philosophen haben gesagt, der Mangel, oder die Privation, sei nichts: die Politiker aber meinten, er sei Alles. Letztere haben es am besten verstanden. Manche wissen aus dem Wunsche der Andern eine Stufe zur Erreichung ihrer Zwecke zu machen. Sie benutzen die Gelegenheit und erregen Jenen, durch Vorstellung der Schwierigkeit des Erlangens, den Appetit. Sie versprechen sich mehr von der Leidenschaftlichkeit der Sehnsucht, als von der Lauheit des Besitzes. Denn in dem Maaße, als der Widerstand zunimmt, wird der Wunsch leidenschaftlicher. Andere in Abhängigkeit zu erhalten wissen, um seine Zwecke zu erreichen, ist eine große Feinheit. "Hand-Orakel No. 189"
Von sich und seinen Sachen vernünftige Begriffe haben; zumal beim Antritt des Lebens. Jeder hat eine hohe Meinung von sich, am meisten aber die, welche am wenigsten Ursache haben. Jeder träumt sich sein Glück und hält sich für ein Wunder. Die Hoffnung macht die übertriebensten Versprechungen, welche nachher die Erfahrung durchaus nicht erfüllt. Dergleichen eitle Einbildungen werden eine Quelle der Quaalen, wann einst die wahrhafte Wirklichkeit die Täuschung zerstört. Der Kluge komme solchen Verirrungen zuvor: er mag immerhin das Beste hoffen; jedoch erwarte er stets das Schlimmste, um was kommen wird mit Gleichmuth zu empfangen. Zwar ist es geschickt, etwas zu hoch zu zielen, damit der Schuß richtig treffe; jedoch nicht so sehr, daß man den Antritt seiner Laufbahn darüber ganz verfehle. Diese Berichtigung der Begriffe ist schlechterdings nothwendig: denn vor der Erfahrung ist die Erwartung meistens sehr ausschweifend. Die beste Universalmedicin gegen alle Thorheiten ist die Einsicht. Jeder erkenne die Sphäre seiner Thätigkeit und seines Standes: dann wird er seine Begriffe nach der Wirklichkeit berichtigen.
"Hand-Orakel No. 194"
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