Die Gemüthsarten derer, mit denen man zu thun hat, begreifen:um ihre Absichten zu ergründen. Denn ist die Ursache richtig erkannt; so ist es auch die Wirkung, erstlich aus jener, sodann aus dem Motiv. Der Melancholische sieht stets Unglücksfälle, der Boshafte Verbrechen voraus: denn immer stellt sich ihnen das Schlimmste dar, und da sie des gegenwärtigen Guten nicht inne werden; so verkünden sie das mögliche Uebel vorher. Der Leidenschaftliche redet stets eine fremde Sprache, die von dem, was die Dinge sind, abweicht: aus ihm spricht die Leidenschaft, nicht die Vernunft. So redet Jeder gemäß seinem Affekt, oder seiner Laune, und Alle gar fern von der Wahrheit. Man lerne ein Gesicht entziffern und aus den Zügen die Seele herausbuchstabiren. Man erkenne in dem, der immer lacht, einen Narren, in dem, der nie lacht, einen Falschen. Man hüte sich vor dem Frager, weil er leichtsinnig oder ein Späher ist. Wenig Gutes erwarte man von den Mißgestalteten: denn diese pflegen sich an der Natur zu rächen, und wie sie ihnen wenig Ehre erzeigte, so sie ihr keine. So groß als die Schönheit eines Menschen, pflegt seine Dummheit zu seyn.
"Hand-Orakel No. 273"
Anziehungskraft besitzen: sie ist ein Zauber kluger Höflichkeit. Man benutze diesen Magnet seiner angenehmen Eigenschaften mehr zur Erwerbung der Zuneigung, als wirklicher Vortheile, doch auch zu Allem. Verdienste reichen nicht aus, wenn sie nicht von der Gunst unterstützt werden, welche es eigentlich ist, die den Beifall verleiht. Das wirksamste Werkzeug der Herrschaft über Andere, das im Schwunge seyn, ist Sache des Glücks: doch läßt es sich durch Kunst befördern: denn wo ausgezeichnete natürliche Anlagen sind, faßt das Künstliche bessere Wurzel. Durch jenes nun gewinnt man die Herzen und allmälig kommt man in den Besitz der allgemeinen Gunst. "Hand-Orakel No. 274"
Mitmachen, so weit es der Anstand erlaubt. Man mache sich nicht immer wichtig und widerwärtig: dies gehört zur edlen Sitte. Etwas kann man sich von seiner Würde vergeben, um die allgemeine Zuneigung zu gewinnen: man lasse sich zuweilen das gefallen, was die Meisten sich gefallen lassen; jedoch ohne Unanständigkeit. Denn wer öffentlich für einen Narren gilt, wird nicht im Stillen für gescheut gehalten werden. An Einem Tage der Lustigkeit kann man mehr verlieren, als man an allen Tagen der Ehrbarkeit gewonnen hat. Jedoch soll man auch nicht sich immer ausschließen: denn durch Absonderung verurtheilt man die Uebrigen. Noch weniger darf man Ziererei affektiren: diese überlasse man dem Geschlecht, welchem sie eigen ist: sogar die religiöse Ziererei ist lächerlich. Dem Mann steht nichts besser an, als daß er ein Mann scheine: das Weib kann das Männliche als eine Vollkommenheit affektiren: nicht so umgekehrt.
"Hand-Orakel No. 275"
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