Seine Freunde zu nutzen verstehen.Auch hiebei hat die Klugheit ihre Kunst. Einige sind gut in der Ferne, Andere in der Nähe. Mancher taugt nicht für die Unterredung, aber sehr für den Briefwechsel: denn die Entfernung nimmt einige Fehler hinweg, welche in der Nähe unerträglich waren. Nicht bloß Ergötzen, sondern auch Nutzen muß man aus seinem Freunde schöpfen: denn er muß die drei Eigenschaften besitzen, welche einige dem Guten, andere dem Dinge überhaupt beilegen: Einheit, Güte und Wahrheit. *) Denn der Freund ist Alles in Allem. Wenige taugen zu guten Freunden, und daß man sie nicht zu wählen versteht, macht ihre Zahl noch kleiner. Sie sich erhalten, ist mehr, als sie zu erwerben wissen. Man suche solche, welche für die Dauer seyn können, und sind sie auch anfangs neu; so beruhige man sich dabei, daß sie alt werden können. Durchaus die besten sind die von vielem Salz, wenn auch die Prüfung einen Scheffel kostet. Keine Einöde ist so traurig, als ohne Freund zu seyn. Die Freundschaft vermehrt das Gute und vertheilt das Schlimme: sie ist das einzige Mittel gegen das Unglück und ist das Freiathmen der Seele. *) Quodlibet ens est unum, verum, bonum. Satz aus der Scholastischen Philosophie.
"Hand-Orakel No. 158"
Die Narren ertragen können. Stets sind die Weisen ungeduldig: denn wer sein Wissen vermehrt, vermehrt seine Ungeduld. Große Einsicht ist schwer zu befriedigen. Die erste Lebensregel, nach Epiktet, ist das Ertragenkönnen, worauf er die Hälfte der Weisheit zurückführt. *) Müssen nun alle Arten von Narrheit ertragen werden, so wird es großer Geduld bedürfen. Oft haben wir am meisten von denen zu erdulden, von welchen wir am meisten abhängen: eine dienliche Uebung der Selbstüberwindung. Aus der Geduld geht der unschätzbare Frieden hervor, welcher das Glück der Welt ist. Wer aber zum Dulden kein Gemüth hat, ziehe sich zurück in sich selbst, wenn er anders auch nur sich selbst wird ertragen können. *) Anexesqai kai apexesqai. "Hand-Orakel No. 159"
Seine Lieblingsfehler kennen. Auch der vollkommenste Mensch wird dergleichen haben, und entweder ist er mit ihnen vermählt, oder in geheimer Liebschaft. Oft liegen sie im Geiste, und je größer dieser ist, desto größer auch sie, oder auch desto auffallender. Nicht, daß der Inhaber sie nicht kennen sollte; sondern er liebt sie, ein doppeltes Uebel: leidenschaftliche Neigung, und für Fehler. Sie sind Schandflecke der Vollkommenheiten und Andern so widerlich, als ihm selbst wohlgefällig. Hier nun gilt es eine kühne Selbstüberwindung, um seine übrigen Vorzüge von solchem Makel zu befreien. Denn darauf stoßen Alle; und wann sie das übrige Gute, welches sie bewundern, zu loben haben, halten sie bei diesem Anstoß still und schwärzen ihn möglichst an, zur Verunglimpfung der sonstigen Talente. "Hand-Orakel No. 161"
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